Bei Alstom Power traten 700 Beschäftigte in den Warnstreik. BILD: ROOS

Tarifstreit: Gewerkschaft zieht Bilanz des Arbeitskampfes

Für den Fall des Scheiterns der Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie wird die Region Mannheim ein Zentrum des Arbeitskampfes werden. „Nach heutiger Erkenntnis ist das so”, sagte gestern der erste Bevollmächtigte der Mannheimer IG Metall Peter Toussaint, und zog ein positives Fazit der Warnstreikwoche in den Betrieben der Stadt. „Wir verzeichnen eine von Verantwortungsbewusstsein geprägte Entschlossenheit der Warnstreikenden”, so Toussaint. Große Hoffnung setzen die Gewerkschaftsmitglieder auf die 4. Verhandlungsrunde am 11. November in Sindelfingen. „Wohlwissend, dass zwischen dem ersten Angebot von Südwestmetall und einem für die IG Metall akzeptablen Kompromiss Welten liegen”, erklärte der Gewerkschaftler.” Am Freitagvormittag streikten nach IG Metall-Angaben mehr als 700 Beschäftigte bei dem Kraftwerksbauer Alstom Power in Käfertal. Betriebsrat Jürgen Vierling machte deutlich, dass ohne deutliche Entgelterhöhung eine friedliche Einigung in diesem Tarifkonflikt nicht möglich sein wird. tan

Geburtstag: Alstom-Chor feiert fünfjähriges Bestehen

Von unserer Mitarbeiterin Iris Barnbeck
Als im Jahr 2003 die Alstom-Mitarbeiter im Kampf gegen den drohenden Arbeitsplatzverlust zusammenrückten, brachten sie Solidarität und Widerstand musikalisch zum Ausdruck. Es war die Geburtsstunde des Alstom-Chores, einer Formation, die sich seither mit ihren Stimmen gegen die Beschlüsse „von oben” richtet. Nun, fünf Jahre später, trafen sich Wegbegleiter, Gönner und Förderer zur Geburtstagsfeier im Forum der Jugend. Die Sänger stellten ein Programm auf die Beine, das wert wäre, auf CD festgehalten zu werden.

In ihrem Repertoire haben die Alstom-Kreativen „Lieder von unten” - in allen Sprachen, aus allen Epochen. Für ihren ersten Song „Unsre Chance: résistance” gewann die Gruppe 2003 den Liedermacher Bernd Köhler. Er schrieb Text und Musik, leitet seither den Chor und war für eine Plattenaufnahme im Forum der Jugend verantwortlich. Die CD verkauft sich seither bestens, und der Chor ist inzwischen weit über die Werkstore hinaus bekannt.

Mannheimer Morgen, Bild: RITTEL.Klänge der Revolution
Unter dem Motto „Fünf Jahre und kein bisschen leise” traten ewo2 mit Titeln aus ihrem AvantiPopolo-Programm auf. Das kleine elektronische Weltorchester mit Christiane Schmied, Bernd Köhler und Hans Reffert begleitete zudem die Chorbeiträge sowie Blandine Bonjour. Die Wahl-Mannheimerin stellte musikalische Beispiele aus ihrem „revolutionären Frankreich” vor, während Oliver Kuka und Frank Misol von Härzbluut in ihrem Kabarett die „Maske des Unternehmertums” offenbarten.

Reinhard Frankl ließ Franz-Josef Degenhardt musikalisch aufleben und Rüdiger Bischoff vom Hessischen Rundfunk spielte einen Mitschnitt, der einst während der CD-Aufnahme entstanden war. Mit Joana präsentierte Bernd Köhler einen der Programmhöhepunkte. Das Publikum war begeistert und forderte eine Zugabe.

Das Programm beendete ewo2 mit Titeln aus AvantiPopolo, bevor Hans Reffert am Mikrofon Platz nahm. Er gab sich virtuos, entlockte seiner Lapsteel-Gitarre klagende Töne, sang sich geradezu die Seele aus dem Leib. Seine sagenhafte Blues-Version von „Joe Hill” wirkte dabei wie eine Frischzellenkur nach knapp fünf Stunden Programm und machte wieder fit für ein gemeinsames „Bella ciao” mit Chor, Gästen und Publikum.

Mannheimer Morgen, 28. Oktober 2008

Logo: Junge Welt

Mannheim
»Fünf Jahre und kein bißchen leise« – unter diesem Motto hatten die örtliche IG Metall und der AlstomChor am Sonnabend zu einer politischen Kulturfete ins Mannheimer Forum geladen.

Der Chor hatte sich 2003, in der heißen gegründet. Die Idee, den Kampf der Beschäftigten mit einem Lied zu unterstützen, entstand damals auf der Rückfahrt von einer Großdemo in Paris. Bernd Köhler, Liedermacher aus der Region, schriePhase der Auseinandersetzung gegen geplante Massenentlassungen beim Kraftwerkshersteller Alstom-Power b Text und Musik. Bald danach trafen sich zehn Alstom-Kolleginnen und Kollegen um das »Résistance-Lied« aufführungsreif zu machen. Geprobt wurde im Besprechungszimmer des Betriebsrats. Zusätzliche Unterstützung kam per Akkordeon durch Helmut Hoffmann, Betriebsrat beim Armaturenhersteller Bopp und Reuther. U. a. trat der Chor in der 2007 besetzten Fahrradfabrik Nordhausen, 2006 beim AEG-Streik in Nürnberg und bei der Großdemonstration gegen die Bolkestein-Richtlinie in Strasbourg auf. (jW)

Alstom-Chor auf der Veranstaltung

Foto: Bernd Birkhahn


Historie: Vor genau 20 Jahren fusionierten BBC und Asea - mit dramatischen Folgen für die Industrielandschaft der Metropolregion

ABB hinterlässt viel verbrannte Erde

Von unserem Redaktionsmitglied Matthias Kros

mannheim. „Erst müssen wir schlanker werden, bevor wir wieder wachsen können”. Mit diesen Worten leitete Eberhard von Koerber, allererster Vorstandsvorsitzender der ABB Deutschland AG, die wohl dramatischsten Veränderungen der Industrielandschaft in der Rhein-Neckar-Region ein. Gesagt hat er sie vor genau 20 Jahren im Interview mit dieser Zeitung – und brachte damit die komplette Belegschaft gegen sich auf. Rund 4000 Arbeitsplätze sollte der wenige Wochen zuvor verkündete Zusammenschluss des Schweizer Elektrokonzerns BBC mit der schwedischen Asea zur ABB allein hierzulande kosten, mit 1500 Stellen traf es wie so oft Mannheim am härtesten. Was die Menschen besonders empörte, sprach Dieter Münch, damaliger Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der BBC, offen aus: „In den Worten von Eberhard von Koerber fanden wir kein Bedauern für die Familien, die von den Plänen betroffen sind”.

„Hier war Wild-West angesagt”

Erst schlanker werden, dann wieder wachsen. Wahr gemacht haben ABB und von Koerber in den Folgejahren freilich nur den ersten Teil dieses Vorhabens. Und zwar viel drastischer als zunächst geplant. Mehr als 36 000 Mitarbeiter zählte der Konzern bei der Fusion BBC/Asea bundesweit, heute sind es noch etwa 11 000. „Die waren wie im Rausch”, erinnert sich Peter Toussaint, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Mannheim, an alte Zeiten. „Hier war Wild-West angesagt”. Regelrecht „Restruktrurierungs-verliebt” seien die Manager gewesen: „Wenn das Wort Restrukturierung nicht vorkam, dann hatte auch kein ABB-ler gesprochen.”

Und so befand sich die Mannheimer ABB im März 1988 im reinsten Schockzustand. Fast 6000 Mitarbeiter löcherten die Geschäftsführung während einer dreitägigen Betriebsversammlung - so lange hatte zuvor noch keine in Deutschland gedauert. Immer wieder legten ABB-ler dabei Holzkreuze - symbolisch für ihre Arbeitsplätze - auf dem Vorstandstisch nieder.

41 Vorstände kamen und gingen

Dabei wurde die Fusion noch wenige Wochen vorher als Traumehe gefeiert. Von einer „Liebes-Heirat” und einer neuen „Nord-Süd-Achse quer durch Europa” war 1988 die Rede. Doch mit der Euphorie war es spätestens Anfang 2000 vorbei. Hohe Schulden und Asbest-Klagen, die sich ABB durch eine Übernahme in den USA eingehandelt hatte, ließen die Eigenkapitaldecke des Konzerns so dünn werden, dass 2002 sogar die Insolvenz drohte. Erst das harte Fokussieren auf die Bereiche Energietechnik und Automation unter dem deutschen Konzernchef Jürgen Dormann brachte den Konzern wieder in die Erfolgsspur.

Endgültig verändert haben diese Einschnitte auch das Gesicht der ABB in Mannheim, wo in den vergangenen 20 Jahren 41 Vorstände kamen und gingen. Der einstige Konzern ist heute kaum noch zu erkennen. Großteile der Produktion sind verkauft oder geschlossen, auch die Nachfolgegesellschaften wie der Kraftwerksbau unter Regie des französischen Alstom-Konzerns kamen jahrelang nicht zur Ruhe. Gerademal gut 4000 Menschen sind in der Metropolregion heute noch für ABB tätig. „Viele der Maßnahmen haben aus heutiger Sicht sicherlich Sinn gemacht”, gibt sich Toussaint trotzdem versöhnlich. Schließlich sei der Konzern heute gesund, in der Metropolregion wurden 2007 erstmals sogar wieder rund 100 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. „Nicht in Ordnung war allerdings die Art und Weise, wie ABB vorgegangen ist”.

Artikel MM Mitte 25. 3. 2008 S. 7

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